Predigt vom Ostermontag, 22.04.2019

Predigt zu Johannes 20, 11 ff; Ostermontag, 22. April 2019, 9.30 Uhr; St. Laurentius, Neuendettelsau; Pfr. Heiner Stahl

Liebe Gemeinde,

ich kenne – außer roher Gewalt – drei Schlüssel, um in ein Haus zu kommen: Da wäre der Hausschlüssel – klar: reinstecken, umdrehen, reingehen. Dann gibt’s eine besonders hübsche Version an der Sprechanlage: „Ich bin´s!“ - Ich habe mich als Jugendlicher öfter gefragt, ob das an anderen Haustüren auch klappen würde, also jetzt nicht an meiner. Einfach mal läuten, und wenn da „Hallo?“ oder „Ja, bitte?“ kommt, es mit „Ich bin´s!“ zu versuchen. Daheim kam ich immer so rein, und ich könnte mir denken, in der Hälfte der Fälle drückt der Mensch auf der anderen Seite auf den Türöffner – noch völlig versunken in dem, was eben dran war, wie Staubsaugen, Ablage machen oder Film gucken, was durch die Türglocke rüde unterbrochen wurde.

„Ich bin´s!“ setzt Vertrauen voraus, schafft vielleicht auch Vertrauen. Es zeugt bei dem, der es sagt, ganz klar davon: Ich gehöre hierher, und wer immer am Drücker ist, weiß, dass ich hier zuhause bin, klar. „Ich bin´s!“ klappt eigentlich ganz gut, um irgendwo reinzukommen. Sie können´s ja mal ausprobieren, aber sagen sie nicht, der Pfarrer hat gesagt...

Den Schlüssel haben wir, „Ich bin´s!“ auch, und dann gibt’s freilich noch eine dritte Version: Ich nenne meinen Namen – und in der Regel geht die Tür auf. Vielleicht jetzt nicht, wenn es der Gerichtsvollzieher oder der missliebige Nachbar ist, doch in der Regel geht das ganz gut. Ich läute, und nach dem „Ja, bitte?“ und meinem „Heiner“, „Papa“ oder „Pfarrer Stahl“ summt es und die Tür schwingt auf.

Klingt das für Sie schon nach Ostern? Eigentlich noch nicht so richtig. Das duftet noch nicht nach Frühling, da habe ich noch nichts von Jerusalem gehört, von Frauen und Männern, von Gräbern und Engeln und allem, was halt so dazu gehört. Und doch hat die Geschichte, die uns heute durch den Gottesdienst begleitet, etwas mit einem Schlüssel, einem „Ich bin´s!“ und vor allem mit einem Namen zu tun.

Hören Sie, wie Johannes uns als vierter Evangelist die Geschichte von Ostern erzählt. Dazu müssen Sie wissen, dass die Maria, von der wir gleich hören, am Vorabend[1] die letzte war, die das Grab verlassen hatte und an diesem Morgen die erste war, die schon am Grab Jesu war, vor allen anderen Männern und Frauen, und sie fand es völlig leer. Nicht einmal ein Engel war da. Sie fand nur das leere, offene Grab vor, und dort, wo Jesus gelegen hatte, die Grabtücher und das Tuch, das ihm um den Kopf gewunden war. Sie kehrte dann zu den anderen zurück und erzählte ihnen davon, woraufhin Johannes und Petrus losrannten – Maria hinterher. Auch die Männer fanden das Grab leer und kehrten zurück. Und dann erzählt Johannes diese Geschichte so weiter: (Johannes 20, 11 ff):

11 Maria aber blieb draußen vor dem Grab stehen; sie weinte. Und während sie weinte, beugte sie sich vor, um ins Grab hineinzuschauen.

12 Da sah sie an der Stelle, wo der Leib Jesu gelegen hatte, zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, den einen am Kopfende und den anderen am Fußende.

13 »Warum weinst du, liebe Frau?«, fragten die Engel. Maria antwortete: »Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wohin sie ihn gebracht haben.«

14 Auf einmal stand Jesus hinter ihr. Sie drehte sich nach ihm um und sah ihn, erkannte ihn jedoch nicht.

15 »Warum weinst du, liebe Frau?«, fragte er sie. »Wen suchst du?«

Maria dachte, es sei der Gärtner, und sagte zu ihm: »Herr, wenn du ihn weggebracht hast, sag mir bitte, wo du ihn hingelegt hast, dann hole ich ihn wieder.« –

16 »Maria!«, sagte Jesus. Da wandte sie sich um und rief: »Meister«!

17 Jesus sagte zu ihr: »Halte mich nicht fest! Ich bin noch nicht zum Vater in den Himmel zurückgekehrt. Geh zu meinen Brüdern und sag ihnen, dass ich zu ihm zurückkehre – zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.«

18 Da ging Maria aus Magdala zu den Jüngern zurück. »Ich habe den Herrn gesehen!«, verkündete sie und erzählte ihnen, was er zu ihr gesagt hatte.

Was ich hier erlebe, ist eine Frau, die bleibt. Während die zwei Männer nach der Inspektion des Grabes längst schon zurückgekehrt waren, ist Maria geblieben. Was ihre Augen gesehen haben, kann ihr Herz nicht glauben – ein leeres Grab. Jetzt ist ihr Schmerz ein doppelter: Am Karfreitag hatte sie Jesus hergeben müssen. Das hat ihr das Herz zerrissen. Denn mit ihm waren auch ihre Hoffnungen für die Zukunft, auch ihre Perspektive als Jüngerin, zu Grabe getragen worden. Und zu diesem Schmerz jetzt das leere Grab – das war zu viel. Die Sehnsucht nach dem, was war, hatte sie zum Grab getrieben. Sie fand es leer – und sie weint.

Wer in seinem Leben schon einen Menschen verloren hat, weiß, wie es Maria dort am Grab ging. Du gehst immer und immer wieder hin und kannst und willst es nicht glauben. Du schaust wieder an den Ort, wo er oder sie gelegen hat – so viele Kreuze an Straßenrändern markieren solche Orte - und du kehrst zu ihnen zurück und fragst nach dem Warum.

Maria beugt sich weinend ins Grab und sieht nun nicht mehr nur die Leichentücher, sondern mit einem Mal zwei Engel dort sitzen, wo Jesus gelegen hatte. Und diesmal hören wir kein „Fürchte dich nicht!“ wie andernorts, sondern die beiden fragen Maria: „Warum weinst Du?“. Hier spüre ich eine große Liebe und Nähe der beiden. Sie lassen sich auf Maria ein - nicht mit einem „Kopf-hoch!“ oder „Die Zeit heilt alle Wunden!“ – tut sie im Übrigen sowieso nicht. Sondern sie fragen sie: „Warum weinst Du, liebe Frau?“ Da bricht es aus Maria heraus: „Sie haben meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wohin sie ihn gebracht haben“. Und ich sehe einen Menschen, dem in zu kurzer Zeit zu viel abverlangt worden war. Und sie wundert sich nicht über die Engel, nicht über die Frage, sondern ist ganz bei sich und ihrem Schmerz – und das am Ostermorgen.

Vielleicht ist es die Intuition der Frauen, die Maria kurz innehalten lässt. Sie steht nach wie vor dem Grab zugewandt und muss etwas gehört haben. Sie dreht den Kopf. Hinter ihr ist jemand – und auch dieser Jemand stellt die Frage der Engel: „Warum weinst du, liebe Frau? Wen suchst du?“. Auch hier bricht es aus ihr heraus: „Herr, wenn du ihn weggebracht hast, sag mir bitte, wo du ihn hingelegt hast, dann hole ich ihn wieder“.

Maria weiß, dass sie die Kontrolle verloren hat – über ihr Leben, über ihre Zukunft, über ihren Glauben, eigentlich über alles das, was ihr sicher schien. All das hat am Kreuz mit Jesus zwei Tage zuvor seine Bedeutung verloren. Und das letzte bisschen von Jesus, das sie noch hatte, nämlich seinen Leichnam, war ihr auch genommen worden. „Sagt mir, wo er liegt!“, fragt sie. Aber die Engel sagen es ihr nicht, und der Gärtner sagt es ihr nicht, und ihr Herz ist verschlossen in ihrer Trauer, in ihrem Leid und in ihrem Verlust. Ihre Hände an der Grabhöhle, ihre Augen auf Engel und Tücher gerichtet und kein Schlüssel, der aufsperrt, der eine Tür und einen Ausweg weist.

Kennen Sie die Situation, dass Sie sich in einem Raum mit vielen Menschen unterhalten und irgendwo im Zimmer wird Ihr Name gesagt – nicht lauter als die sonstigen Gespräche, nur einfach Ihr Name. Es spielt keine Rolle, wie intensiv Sie sich gerade mit jemand anderem unterhalten, wenn Sie Ihren Namen hören, drehen sie den Kopf, wenden sich um und suchen die Quelle – wer spricht von mir, wer spricht vielleicht mit mir?

Als der Gärtner „Maria“ sagt, macht es "klick“. Nicht nur der Kopf wendet sich dem Gärtner zu, Maria löst sich vom Grab, dreht sich um und wendet sich ihm zu. Ihre Augen sehen klar, ihr Verstand sieht klar, Ihr Herz sieht klar: Es ist Jesus! Und es bricht aus ihr heraus: Rabbuni – Meister. Maria hatte ihn nicht an der Stimme erkannt, hatte kaum reagiert, als er sie fragte, warum sie weine, aber als er ihren Namen ausgesprochen hatte, da war es blitzartig hell in ihrem Herzen geworden – so hell wie am Tisch der Emmaus-Jünger später am Abend. Ihr Name in Jesu Mund war für sie zum Schlüssel geworden, und es begann etwas in ihr zu keimen. Mit ihrem Namen aus seinem Mund hatte Jesus „Ich bin´s!“ gesagt. Die Tür sprang auf, das Leben kehrte zurück und Maria wurde von großer Freude erfüllt.

Irgendwie scheint es, dass sie ihm um den Hals gefallen war. Und Jesus? Da ist hier sonderbarerweise so gar nichts vom glücklichen Vater, der dem heimkehrenden Sohn um den Hals fällt, zu hören, sondern Jesus sagt: „Fass mich nicht an!“ Ich denke, sinnvoller übersetzt heißt es: „Halt mich nicht fest“, vielleicht auch „Halt mich nicht auf!“. Das irritiert mich – sicher auch Maria. Und doch sollen hier am Grab keine Pflöcke eingeschlagen und Heiligtümer errichtet werden, sondern die Botschaft, dass Jesus lebt, muss stante pede hinaus in die Welt zu den Jüngerinnen und Jüngern. Wo drei Tage Tränen gesät waren, wird an diesem Ostermorgen Freude geerntet. Die Frau ist wie ausgewechselt, und Jesus greift diesen Schwung Marias auf und schickt sie zu der kleinen Jerusalemer Gemeinde.

Vielleicht wollte er ihr auch mit seinem „Halt mich nicht fest!“ deutlich machen, dass das, was sie erlebt hat, nur vorläufig ist, nur die halbe Geschichte, selbst die Trauer und die Engel. Halte all das nicht fest, sondern lass dich ausrichten auf das, was vor dir liegt. Und das, Maria, ist das Leben!

Ich finde in diesem „Halt mich nicht fest!“ von Jesus und auch darin, dass er Maria als erste Apostelin zu den Aposteln schickt, etwas höchst Bezeichnendes für unseren Glauben. Unser Glaube ist immer einer, der unterwegs ist, ein Geh-Glaube: Die Hirten der Weihnachtsgeschichte wurden von den Engeln geschickt – und kamen in den Stall und gingen hinaus und erzählten. Maria wird hier von Jesus weg vom Grab geschickt – hin zu den Lebenden. Jesus selbst schickt an Himmelfahrt seine Jüngerinnen und Jünger in alle Welt und an Pfingsten feiern wir, dass er im Heiligen Geist die Kraft für diesen Auftrag geschenkt hat, und dieser Geist sagt: „Geh ... und du wirst mich auch dort finden, in deiner Familie, in deiner Schule, an deinem Arbeitsplatz, in deinem Senioren-Wohnstift“. Geh... auch dorthin, wo das Leben böse ist, und trage die Liebe Gottes dort hinein.“

Liebe Gemeinde, der Stall in Bethlehem war am nächsten Tag völlig bedeutungslos. Das Grab war am Ostermontag völlig bedeutungslos. Der Ort der Himmelfahrt Jesu war am nächsten Tag ebenfalls bedeutungslos, und so auch das Haus in Jerusalem, in dem der Heilige Geist ausgegossen worden war – und ich sage: Gott sei Dank! Denn über all diesen Ereignissen steht Jesus großes „Geht hin!“, und so viele Menschen haben sich in diese Bewegung mit einbinden lassen und den Glauben in alle Welt getragen. Und Ostern in alle Welt getragen. Bis hierher zu uns...

Marias Name wurde für sie zu ihrem persönlichen Osterfest, wurde Jesu Schlüssel für ihr Herz. Ihr Osterfest war mit einem Mal ganz eng verwoben mit Jesajas Verheißung, die auch dir und mir gilt – die auch über deiner und meiner Taufe steht und in der Gott zu dir sagt: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe [auch ] dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!

Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden.

Amen



[1] Mt 27, 61

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