Predigt vom Sonntag, 07.04.2019

Predigt zu Johannes 18,25-19,5; Sonntag Judica, 07. April 2019, 9.30 Uhr; St. Laurentius, Neuendettelsau; Pfr. Peter Schwarz

Bei großen Prozessen sind die Gerichtssäle voller Menschen. Manchmal stehen sie Schlange, um dabei sein zu können, wenn ein Mord, ein Anschlag oder ein anderes Gewaltverbrechen vor Gericht verhandelt wird. Woher dieses Interesse? Ist es nur Neugier, Sensationslust, oder steckt etwas anders dahinter? Das mag man auch fragen, wenn man die Berichte der Evangelisten über den Prozess Jesu liest oder hört. Was hat sie bewegt, das alles aufzuschreiben? Es handelt sich um keine Protokolle. Hier schreibt kein neutraler Beobachter. Hier schreiben Glaubende den Prozess Jesu nieder, und während sie schreiben, wissen sie: Obwohl ein Todesurteil am Ende des Prozesses stehen wird, schreiben und erzählen sie nicht über einen Toten, sondern über den lebendigen Herrn. Als der Lebendige ist Jesus Christus gegenwärtig inmitten der Gemeinde, während wir, seine Gemeinde, von seinem Verhör vor Pilatus hören, von seiner Geißelung und Verspottung. Pilatus und die römische Herrschaft sind tot und sind vergangene Geschichte. Jesus Christus aber ist gegenwärtig, wenn wir von ihm hören. Er ist unsere Gegenwart und er ist unsere Zukunft.

Unser Abschnitt setzt da ein, wo Jesus von der religiösen an die politische Macht ausgeliefert wird. Der Hohepriester Kaiphas lässt ihn von seinem Palast in den des Pilatus überstellen. Weil der Ausspruch des Todesurteils und seine Vollstreckung nicht in der Macht des Synedriums liegen, muss nun der römische Prokurator diesen letzten und entscheidenden Schritt tun. Wie schon vorher beim Verhör durch den Hohepriester erfahren wir nicht, was eigentlich die Anklage des Hohen Rates gegen Jesus ist. Nur indirekt lässt sich erschließen, dass sie Pilatus davon überzeugen wollen, er plane den Umsturz der Herrschaft der Römer.

So jedenfalls lässt sich die Frage: „Bist du der König der Juden?“ erklären. Offenbar macht Jesus auf Pilatus nicht den Eindruck eines gefährlichen Aufrührers. Ganz offiziell kommt er deshalb auch zu dem Untersuchungsergebnis, dass Jesus unschuldig ist. Mit der Idee, ihn zu begnadigen, will Pilatus sich aus der Affäre ziehen, vielleicht auch deshalb, weil er davon gehört hat, dass Jesus eine große Anhängerschaft hat. Während draußen der bestellte Mob die Bestrafung Jesu fordert, wird drinnen das Verhör zu einem Gespräch über die Frage: „Wer hat die Macht in dieser Welt?“. Jesus sagt klipp und klar, dass er keine politischen Ambitionen hat: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“, und Pilatus ist geneigt, darüber zu diskutieren. Angesichts der offenkundigen Ohnmacht seines Gegenübers glaubt er sich in der Position des Stärkeren. „Was ist Wahrheit?“ - dieser Satz ist berühmt geworden, vielleicht auch, weil diese Frage am Ende ohne Antwort und ohne Folgen bleibt, eher eine Floskel und eine Ausflucht ist als eine wirkliche Frage. Deutlich wird dabei eines: Pilatus hält Jesus für unschuldig. Ihm ist das alles lästig und unbequem. Die religiöse Dimension der Anklage selbst ist ihm gleichgültig. „Ich finde keine Schuld an ihm.“

In seiner Gleichgültigkeit spricht er, ohne es zu wissen oder zu ahnen, das aus, was wir glauben und bekennen: Jesus trägt als Unschuldiger die Schuld der Menschen. Darum hat dieser Pilatus seinen Platz im Bekenntnis der Kirche. Weil dieses Wort uns daran erinnert: Es geht um uns, um unsere Schuld, um unsere Vergebung, um unsere Gegenwart, unsre Zukunft. Deine Sache wird verhandelt, sagt Martin Luther, tua res agitur. Für unsere Sache steht Jesus vor Pilatus. Am Ende verurteilt er aus politischem Interesse Jesus zum Tode. Wieder etwas, das uns in die Gegenwart führt: Wo Glaube und Macht es miteinander zu tun bekommen und in Konkurrenz treten, geht es schnell um Leben und Tod für den Glauben und die Gläubigen. Die Christen in Indien, im Sudan und in unzähligen anderen Ländern erfahren das und könnten es auch in unsrem Land erzählen – wenn ihnen denn jemand zuhören wollte.

Die Gegnerschaft gegen Jesus hat im Tiefsten einen religiösen Hintergrund. Dass aber das Johannesevangelium hier pauschal von „den Juden“ redet, wirkt sich in verhängnisvoller Weise aus - bis heute. „Gottesmörder“, „Werkzeuge des Satans“, „die Juden sind unser Unglück“ - solch groteske und letztlich tödliche Aussagen sind auf diesem Grund gewachsen. Dagegen hilft nur das immer neue Erinnern: Jesus selbst ist Jude, die ersten Zeuginnen und Zeugen des Glaubens waren Juden. Ja, „das Heil kommt von den Juden“ - das schreibt genau der Evangelist Johannes, der auch sonst zu berichten weiß, dass viele Juden sich zu Jesus bekennen. Wieder sind wir in der Gegenwart und wieder geht es um die Zukunft: Wo immer wir von Jesus sprechen und uns zu ihm bekennen, stehen wir zugleich an der Seite seines Volkes. Freilich ist auch das andere heute und in Zukunft gültig: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“. Es hat keinen Ort auf der Landkarte und keinen Platz am Sitzungstisch der UNO.

Damit ist die Zeit philosophischen Gesprächs vorüber. Pilatus sucht einen anderen Weg und lässt Jesus geißeln. Diese grausame Handlung soll eigentlich der Abschreckung dienen.Hier ist sie wohl ein Zugeständnis an die Gegner Jesu. Vielleicht geben sie sich ja zufrieden mit dieser Strafe. Doch die Soldaten lassen es nicht bei der Auspeitschung bewenden. Sie treiben ihren Spott mit diesem seltsamen König der Juden: Sie setzen ihm die Dornenkrone auf den Kopf und hängen den roten Soldatenumhang über den zerschundenen Rücken –Insignien eines Königs, der so ohnmächtig ist, dass er sich nicht einmal gegen Ohrfeigen wehren kann.

So stellt ihn Pilatus vor seine Ankläger: „Seht, welch ein Mensch!“. Eine merkwürdige Aussage, doppelbödig wie vieles bei Johannes: Ecce homo. - „Seht, da ist dieser Mensch“, seht die Jammergestalt! Das soll ein Aufrührer sein? So die unmittelbare Bedeutung. Dann aber sollen wir das andere mithören und mitsehen: Ecce homo! Seht, das ist der Mensch –der Mensch in dem ganzen Elend, an dem sichtbar ist, was Menschen anderen Menschen zufügen. Das ist eine Warnung.

„Seht, das ist der Mensch, in dem euch Gott begegnet!“ Für uns ist das eine Botschaft der Hoffnung: In seiner Liebe nimmt Jesus auch die tiefste Schmach des Menschseins auf sich. So - und nur so - kann dem Hass und der Gewalt ein Ende gemacht werden. Heute und in Zukunft. Nur die Liebe kann Hass und Gewalt überwinden, die menschgewordene Liebe. An dieser Liebe kommen auch der Hass der Ankläger und die Gleichgültigkeit des Pilatus nicht vorbei. Ja, zuletzt macht diese Liebe sie zu Werkzeugen in Gottes Hand. Das entschuldigt Hass und Gleichgültigkeit nicht. Aber es zeigt: Jesu Tod ist nicht nur ein Justizverbrechen; es ist zugleich das Ziel der Menschwerdung Gottes. Er nimmt auch das tiefste Leiden menschlicher Existenz auf sich. Auch wir sind in dieser menschgewordenen Liebe aufgehoben und geborgen.

So sind wir nicht nur Zuschauer eines vergangenen Prozesses, wir dürfen wissen: Um unsere Gegenwart geht es und um unsere Zukunft. Unsere Sache wird verhandelt, tua res agitur. Das dürfen wir hören und feiern es jetzt im Heiligen Abendmahl.

Amen.

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