Predigt vom Sonntag, 21.10.2018

(21. Sonntag nach Trinitatis - 21. Oktober 2018 - 9.30 Uhr - Neuendettelsau - Rektor Dr. Mathias Hartmann)

Predigt – Jeremia 29, 1.4-7.10-14

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde!

Vor ziemlich genau einem Jahr schreckte die Kirchen in Nürnberg eine Meldung auf: Die evangelischen und katholischen Christen seien in Nürnberg in Zukunft wohl eine Minderheit. Zum Reformationsjubiläum hatte die Stadt mal nachgezählt und veröffentlicht, welche Religions- und Konfessionszugehörigkeit die Nürnberger haben. Und es kam heraus, dass nur noch 27% der Nürnberger evangelisch sind und 25% katholisch. Das bedeutet, dass die evangelischen und katholischen Christen in Nürnberg zusammengenommen im letzten Jahr nur noch eine hauchdünne Mehrheit hatten und dass im Jahr 2018 oder spätestens in 2019 die Christen in Nürnberg in der Minderheit sind. Die Tendenz ist nämlich seit Jahren fallend. Das liegt nicht nur an Kirchenaustritten, sondern an einer steigenden Zahl an Konfessionslosen und Angehörigen anderer Religionen in der Bevölkerung und an der stetig wachsenden Bevölkerungszahl Nürnbergs. Schaut man auf ganz Deutschland, ergibt sich ein ähnliches Bild: Etwa 54% der Bevölkerung gehörte Ende 2017 noch der evangelischen oder der katholischen Kirche an (davon etwa 26% der evangelischen Kirche). Ca. 35% der Bevölkerung sind konfessionslos. Die verbleibenden ca. 10% sind Angehörige anderer christlicher Konfessionen und Religionen, wovon die größte Gruppe mit etwas über 5% Muslime sind. Ich sage dies nicht, um ein düsteres Bild zu malen, sondern nur, um eine Entwicklung anzusprechen, der wir uns stellen sollten. Unsere Gesellschaft wird bunter und vielfältiger. Wie können wir uns als Christen und als christliche Kirchen in einer Gesellschaft verhalten, für die christlicher Glaube nicht selbstverständlich ist?

Unser heutiger Predigttext kann uns da, so denke ich, einige Hinweise geben. Es ist ein Brief, den der Prophet Jeremia im Jahr 594 vor Christus an die von den Babyloniern entführten Israeliten im Exil in Babel geschrieben hat. Ich lese den Predigttext aus dem Buch des Propheten Jeremia im 29. Kapitel. (…)

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Auf mich macht dieser Brief einen sehr kraftvollen, visionären Eindruck. Aber kurz noch einmal zum Hintergrund. Im Jahr 597 vor Christus hatte Israel im Krieg gegen die Babylonier verloren. Ihr ganzes Land war besetzt und stand unter Fremdherrschaft. Aus Jerusalem war – wie damals allgemein üblich – die Oberschicht gefangen genommen, weggeführt und durch Eliten aus Babylon ersetzt worden. Und nun saßen die Israeliten also in Babel, wo alles fremd war. Der Tempel war weit. Die Babylonier beteten andere Götter an, und sie, die Israeliten, waren zwar schon eine große Gruppe – aber was war das schon in einer so großen, feindlichen Stadt voller Leute, für die sie Fremde und sogar Feinde waren. Sie beteten und warteten auf ihre Rückkehr, sie hofften darauf, dass der Spuk bald ein Ende haben möge und sie wieder zurückkämen nach Jerusalem in ihre Heimat, in den Tempel, damit alles wieder wie früher würde. In diese Situation kommt der Brief Jeremias, der in Jerusalem zurückgeblieben war. Und Jeremia macht durch Gottes Worte zunächst einmal deutlich: Das Leben in Babylon wird nicht morgen zu Ende sein. Das wird noch einige Zeit weitergehen. Und er fordert die Israelitische Gemeinde im Exil auf: Nutzt die Zeit zur Selbstbesinnung und Umkehr. Lebt und gestaltet eure Umwelt, damit es euch gut geht. Dann wird eure Zukunft gut und hoffnungsvoll sein, weil ich bei Euch sein werde. Die Botschaft des Jeremia ist bemerkenswert. Nicht nur, weil sie den Erwartungen der Empfänger damals überhaupt nicht entsprach, sondern weil sie Hoffnung verbreitet hat in einer extrem schwierigen Situation.

Ich möchte die babylonische Gefangenschaft der Israeliten jetzt nicht mit der aktuellen Situation der christlichen Kirchen in Deutschland vergleichen. Aber ich denke schon, dass die Hinweise des Propheten Jeremia auch zu unserer heutigen Situation passen. Drei dieser Hinweise möchte ich gerne mit Ihnen genauer betrachten. Der erste Hinweis:

1. „Baut Häuser und wohnt darin…“

Eigentlich ist das ja nicht alles: das Häuserbauen. Der ganze Hinweis heißt: Baut Häuser und wohnt darin, pflanzt Gärten und esst ihre Früchte; nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter, (…). Kurz gesagt: Lebt in Babel, beginnt etwas Neues und gestaltet Eure Zukunft. Hängt nicht an dem Alten und überlegt nicht, was sein könnte, sondern nehmt wahr, was ihr hier und jetzt für Möglichkeiten habt und nutzt sie.

Wenn wir auf die Situation der christlichen Kirchen in Deutschland schauen, dann empfinde ich diesen Hinweis als sehr passend. Viele Reformbemühungen der christlichen Kirchen der Vergangenheit haben das Ziel, die alte Größe zurückzubekommen, den Negativtrend umzukehren, wieder mehr Kirchenmitglieder zu gewinnen. Und manchmal scheint es mir, dass viele Verantwortliche vor allem noch dem Vergangenen nachtrauern und gerne die alten Zeiten zurück hätten, in denen Kirche in der Gesellschaft und bei den Menschen noch selbstverständlicher als heute dazugehörte.

Doch das ist nicht unsere Aufgabe. Unsere Aufgabe ist, unseren Glauben zu leben – auch unter veränderten Rahmenbedingungen. Kirche ist gerade da besonders nah bei den Menschen, wo sie nicht Altem nachtrauert, sondern offen ist für Neues, wo sie Menschen einlädt, unabhängig von ihrem Glauben, mit ihnen lebt und ihnen hilft, ihr Leben zu gestalten. Vielleicht hören Sie es aus meinen Worten heraus: Ja, ich glaube, dass unsere Kirche eine neue Ausrichtung auf die Menschen unserer Gesellschaft braucht. Eine diakonische Ausrichtung. Kirche darf sich nicht so viel mit sich selbst beschäftigen – und auch nicht nur mit ihren Mitgliedern. Sie muss sich mehr um die Menschen kümmern, die sie brauchen könnten. Das ist ihr Auftrag!

2. „Suchet der Stadt Bestes und betet für sie…“

Der zweite Hinweis des Jeremia war für die Israeliten sicher eine ziemliche Zumutung! „Suchet der Stadt Bestes und betet für sie.“ Das heißt doch: Begreift euch nicht als Sondergruppe in einer feindlichen Umgebung, sondern verhaltet euch wie ein Teil der Gesellschaft, in der ihr lebt. Überlegt, was die Gesellschaft braucht, und arbeitet mit daran, sie zu verbessern, denn wenn es den Menschen um Euch herum gut geht, dann geht es euch auch gut.

Sollen sich Christen oder gar christliche Kirchen in die Politik einmischen? Das fragen sich heute manche in unserer Gesellschaft, und so mancher Politiker möchte kirchlichen Amtsträgern gerne den Mund verbieten. Natürlich gibt es auch Grenzen der Einmischung in die Belange anderer. Aber wir Christen sind geradezu beauftragt, uns einzumischen. Und das nicht unbedingt, um den kirchlichen Einfluss auf die Politik auch in Zukunft zu sichern. Nein, das ist nicht die Perspektive! Sondern zum Besten der Gesellschaft und damit der Menschen, die in ihr leben. Und zwar zum Besten aller Menschen. „Suchet der Stadt Bestes..“ heißt also wiederum: Setzt euch für andere Menschen ein.

Das Gebet spielt dabei eine besondere Rolle. „Suchet der Stadt Bestes und betet für sie (…).“, schreibt Jeremia. Die indische Ordensschwester Mutter Teresa, die lange in den Straßen Kalkuttas bei den Ärmsten der Armen gearbeitet hat, wurde einmal nach ihrem Geheimnis gefragt. Wie kann sie ihre Arbeit mit den Sterbenden der Straße schaffen? Sie antwortete: „Ich bete. Das Gebet nützt der ganzen Welt, denn Frieden beginnt zu Hause in unserem eigenen Herzen. Wie können wir Frieden in die Welt bringen, wenn wir keinen Frieden in uns haben?“ Wir wissen heute, wie sehr sie in den Slums von Kalkutta auch mit Gott gehadert hat. Wie sie sich von Gott verlassen fühlte und sie dieses Gefühl quälte. Aber nicht nur der Fromme soll beten. Teresa sagt: „Wenn du nach Gott suchst und nicht weißt, wo du anfangen sollst, lerne zu beten und mache dir die Mühe, jeden Tag zu beten.“ Sie hat erfahren: Beten hat einen Dominoeffekt: „Die Frucht der Stille ist das Gebet. Die Frucht des Gebets ist der Glaube. Die Frucht des Glaubens ist die Liebe. Die Frucht des Liebens ist das Dienen. Die Frucht des Dienens ist der Friede.“

Das Gebet hat einen starken Einfluss auf unsere Welt. Vielleicht haben Sie das, liebe Diakonissen, im Lauf ihres Lebens und im Lauf ihres Dienstes in der Diakonie für die Menschen auch erfahren. Das Beten und das Dienen hängen sehr stark zusammen. Wir dürfen in der Diakonie über dem vielen Tun nicht vergessen zu beten. Sie, liebe Schwestern, erinnern uns da immer wieder daran, indem Sie selbst den Dienst des Gebetes treu ausüben. Und Sie sorgen dadurch dafür, dass unser Dienst diakonisch bleibt – in dem Sinne, wie er es seit über 160 Jahren ist. Ich möchte Ihnen heute einmal dafür herzlich danken. Wir schätzen sehr, was Sie im Auftrag Jesu durch Ihren diakonischen Dienst für die Menschen getan haben und immer noch tun.

Und nun noch der letzte Hinweis des Jeremia:

3. „Ich habe (…) Gedanken des Friedens, nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.“

Die Perspektive der Israeliten sollte keine schlechte sein. Trotz der schwierigen Situation hatte Gott das Volk Israel nicht verlassen, er wollte ihm einen Neuanfang ermöglichen. Die Israeliten sollten sich wieder auf ihren Glauben und ihre Verantwortung füreinander besinnen können und dafür die Zeit des Exils nutzen. Tatsächlich wurde die Exilzeit des Volkes Israel trotz noch mancher schwerer Erfahrung aus der Rückschau eine Blütezeit der jüdischen Theologie. Viele Texte aus unserer heutigen Bibel stammen aus dieser Zeit, viele Gedanken über Gott, die uns heute noch bewegen. Und das Exil war der Startpunkt für einen guten Neuanfang nach dieser Zeit.

Auch für die christlichen Kirchen in Deutschland muss mit dem Wechsel in die Minderheit in unserer Gesellschaft keine bedeutungslose und negative Zeit anbrechen. Gottes Segen hängt nicht an großen Zahlen. Es fragt sich, was wir daraus machen. Ich bin überzeugt, wenn wir die Impulse des Jeremia, nämlich „Beginnt Neues und lebt mit den Menschen!“ und „Bringt Euch in die Gesellschaft ein, betet für sie und dient den Menschen!“ ernst nehmen, dann werden auch wir erleben, dass Gott auch mit uns Gedanken des Friedens hat und dass er uns Zukunft und Hoffnung gibt.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus.

Amen.

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