Predigt vom Sonntag, 12.08.2018

Predigt – Galater 2,16-21

(11. So. n.Tr. - 12. August 2018 - 9.30 Uhr in N‘au)

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde!

Wissen Sie, was „FAQs“, also „Frequently Asked Questions“, auf Deutsch also „wiederholt gestellte Fragen“, sind? Sicher kennen viele von Ihnen diese FAQs. Das sind Fragen, die Kunden von Organisationen oder Institutionen immer wieder stellen und die aus diesem Grund im Internet oder in Publikationen quasi schon einmal vorab für alle beantwortet werden. So kann sich zum Beispiel ein Familienvater, der eine Versicherung abschließen, ein Konto eröffnen oder einen Urlaub buchen will, im Internet oder durch einen Flyer informieren, ohne dass er gleich persönlich mit einem Kundenberater sprechen muss. Die Antworten passen auf 80-90% der Kundenbedürfnisse, und so geht die Klärung schneller und effizienter vonstatten. Was aber macht man, wenn die Frage, die man hat, nicht unter den FAQs vorkommt? Dann gibt es verschiedene Möglichkeiten: Entweder man kontaktiert doch den persönlichen Berater, oder man schaut, wenn das zu kompliziert ist, ob eine der Antworten auf die FAQs Informationen enthält, die man zur Beantwortung der eigenen individuellen Frage verwenden kann.

Vielleicht fragen Sie sich jetzt, warum ich Ihnen das erzähle. Nun, ich glaube, heute müssen wir mit unserem Predigttext ähnlich vorgehen. Er enthält nämlich Antworten auf eine Frage, die die Menschen zur Zeit der ersten Christen intensiv beschäftigt hat. Ja, auch für die Menschen zur Zeit der Reformation war das eine ganz zentrale Frage. Doch wenn wir ganz ehrlich sind, ist diese Frage in der heutigen Zeit sehr in den Hintergrund gerückt. Es handelt sich um die Frage: „Wie werde ich vor Gott gerecht?“ Oder anders ausgedrückt: „Wie lebe ich so, dass Gott mit mir zufrieden ist?“ Ich nehme nicht wahr, dass diese Frage heute noch zu den „Frequently Asked Questions“, also den Fragen gehört, die sich Menschen immer wieder stellen. Oder dass es sogar eine Frage ist, die die Menschen uns Christen stellen. Nein, die Fragen von heute lauten anders. Heute fragen die Menschen sich zum Beispiel: „Wie gelingt mein Leben? - Wie mache ich etwas aus meinem Leben? - Wie gehe ich damit um, dass ich scheitere, versage oder Fehler mache – oder auch nur machen könnte?“ Oder dieselben Fragen von alten Menschen aus der Rückschau formuliert: „Ist mein Leben gelungen? Habe ich etwas aus meinem Leben gemacht? Wie gehe ich damit um, dass ich in meinem Leben auch gescheitert bin, versagt habe und Fehler gemacht habe?“ Kennen Sie diese oder ähnliche Fragen?

Obwohl unser Predigttext nicht genau auf diese Fragen antwortet, möchte ich gerne mit Ihnen über die Worte des Paulus nachdenken. Ich glaube nämlich, dass die Antwort des Paulus auf die Fragen der damaligen Zeit auch bei der Beantwortung unserer heutigen Fragen helfen kann. Also schauen wir noch einmal etwas genauer hin: Paulus berichtet kurz vor unserem Textabschnitt von einem Konflikt unter den ersten Christen. Da gab es auf der einen Seite die Christen, die Juden waren – genau wie Jesus und seine Jünger, und auf der anderen Seite diejenigen, die an Jesus Christus glaubten und vorher nicht Juden gewesen waren, die sogenannten Heidenchristen. Unter diesen ersten Christen brach ein Streit darüber aus, ob man nun, wenn man Christ werden will, auch das jüdische Gesetz einhalten müsse – also ob man nur als Jude Christ sein könne. Und nach einigen theologischen Auseinandersetzungen, namentlich auch zwischen Paulus und Petrus, setzte sich Paulus mit der Überzeugung durch, dass allein der Glaube an Jesus Christus die Menschen gerecht macht und nicht das Einhalten des jüdischen Gesetzes: „(…) wir wissen, dass der Mensch durch Werke des Gesetzes nicht gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus (…)“ (V.16). Und Paulus folgerte daraus: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir.“ (V.20). Für die damaligen Menschen und besonders für die Christen in Antiochien, wo der Streit zwischen Paulus und Petrus stattgefunden hatte, bedeutete diese Antwort des Paulus eine Befreiung. Er machte deutlich, dass es für die Gerechtigkeit vor Gott eben nicht auf die Taten des Einzelnen oder gar die Einhaltung der jüdischen Gesetze ankommt, sondern nur auf den Glauben an Jesus Christus. Das machte es möglich, dass viele Menschen den Druck des Gesetzes nicht mehr spürten, sondern die befreiende Botschaft von Jesus Christus annehmen konnten. Für Martin Luther etwa 1500 Jahre später war das ebenfalls eine ganz wesentliche Erkenntnis: Er musste, ja er konnte nichts tun, um Gott gnädig zu stimmen. Keine Werke, keine religiöse Pflichterfüllung, kein noch so heiliges Leben. Allein sein Glaube machte ihn gerecht vor Gott. Das war die reformatorische Erkenntnis, die er den Menschen seiner Zeit mitteilte und die viele Menschen ebenfalls von einem religiösen Druck befreite.

Was aber bedeutet diese Antwort für unsere heutigen Fragen? Ich möchte darüber in drei Schritten mit ihnen nachdenken:

1. Was bedeutet Paulus Antwort von der Gerechtigkeit vor Gott allein aus Glauben für uns persönlich?

2. Was bedeutet sie für unsere Gesellschaft? Und

3. Was bedeutet sie für Kirche und Diakonie?

Nun also zu

1. Was bedeutet die Botschaft des Paulus für uns persönlich?

Wenn wir Paulus Antwort auf unsere Frage beziehen: „Wie gelingt unser Leben? - Wie machen wir etwas aus unserem Leben? - Wie gehen wir mit Scheitern und Versagen um?“, dann kann das doch eigentlich nur bedeuten, dass der Glaube an Jesus Christus zu einem gelingenden Leben beitragen kann. Und es wird deutlich, was alles nicht zu einem gelingenden Leben hilft: Leistung, Erfolg, gute Taten, vorbildliches Verhalten. Ich weiß, das ist jetzt vielleicht etwas provokativ formuliert, gerade weil in unserer Gesellschaft gelingendes Leben in der Regel mit genau solchen Aspekten verbunden wird. Doch wenn wir uns anschauen, wie Jesus selbst das beurteilt hat, dann erkennen wir, dass Paulus wirklich Recht hat. Jesus hat sich den Armen, Kriminellen, Kranken, Ausgestoßenen zugewandt und hat ihnen das Reich Gottes verkündet. Er hat ihnen gesagt, dass Gott sich ihnen in besonderer Weise zugewandt hat. Das Evangelium von Jesus Christus ist nicht ein Evangelium der Erfolgreichen und Gewinner – es ist gerade ein Evangelium für Erfolglose und Verlierer. Paulus sagt, dass es nicht auf die Werke, sondern auf den Glauben ankomme. Für uns kann das bedeuten, dass wir unser Leben nicht danach beurteilen sollten, ob wir Erfolg haben oder versagen, ob wir perfekt leben oder Fehler machen. Lassen wir uns doch von Paulus zusagen, dass unser Leben gelingt, weil Gott sich uns gnädig zuwendet. Unser Leben gelingt, weil Christus in uns lebt.

Vielleicht können Sie dadurch mit sich und anderen etwas gnädiger umgehen, wenn Sie vorausschauend planen, was ihr Leben bestimmen soll oder wenn Sie im Alter auf ihr Leben zurückschauen und Bilanz ziehen. Machen Sie nicht Leistung, Erfolg und Verhalten zum Kriterium, sondern freuen Sie sich daran und suchen Sie danach, wie Sie Gottes gnädige Zuwendung erlebt haben und weiter erleben können. Dann sind vielleicht Begegnungen mit Menschen wichtig, oder es ist von Bedeutung, den Sinn und die Aufgabe im Leben zu finden oder gefunden zu haben, die einen ausfüllt und zu einem passt. Auch kann dann in den Vordergrund rücken, die schönen Seiten des Lebens mit den Menschen in seinem Umfeld, mit Familie oder Freunden gemeinsam zu genießen und Gott auch für Kleinigkeiten dankbar zu sein. Daneben lässt sich Gott aber auch in den schweren Stunden des Lebens erfahren. Leben kann gelingen, manchmal gerade weil es nicht perfekt ist… Nun zum zweiten Schritt:

2. Was bedeutet die Botschaft des Paulus für unsere Gesellschaft?

Ich glaube, die Botschaft des Paulus, dass es vor Gott nicht auf Taten, sondern den Glauben ankommt, ist auch für unsere Gesellschaft sehr aktuell. Sie sorgt aus meiner Sicht dafür, dass wir uns die Frage stellen müssen: Wie gehen wir in unserer Gesellschaft mit den Menschen um, die nicht erfolgreich und leistungsfähig sind oder sein können? Wie sorgen wir dafür, dass diese Menschen nicht am Rand der Gesellschaft stehen?

Ich greife dazu heute als Beispiel einmal Menschen mit Behinderung heraus. In Deutschland leben über 10 Millionen Menschen mit geistigen und/oder körperlichen Behinderungen – etwa 75% davon gelten als schwerbehindert. Diese Menschen sind in der Regel nach den Kriterien unserer Gesellschaft nicht so leistungsfähig wie Menschen ohne Behinderung. Die Botschaft des Paulus macht aber gerade deutlich: Darauf kommt es nicht an! Jede und jeder dieser Menschen ist in Gottes Augen genauso wichtig und wertvoll wie jeder andere Mensch auch. Und wenn dies so ist, stellt sich die Frage: Wie können wir unsere Gesellschaft so gestalten, dass jeder Mensch den Raum hat, den er braucht und die Unterstützung, die er benötigt, um sein Leben gelingend zu leben? Die Antwort, die unsere Gesellschaft darauf gefunden hat, ist die Aufgabe der Inklusion. Inklusion meint den Einsatz für die Teilhabe von allen Menschen an unserem gesellschaftlichen Leben, unabhängig von ihrer Leistungsfähigkeit und mentaler oder körperlicher Verfassung. Die Inklusionsdebatte, die in Deutschland und seit der UN-Behindertenrechtskonvention im Prinzip weltweit geführt wird, ist eine wichtige Reaktion darauf, dass in dieser Frage noch viel zu tun ist. Und darum zu unserem 3 Schritt:

3. Was bedeutet die Botschaft des Paulus für Kirche und Diakonie?

Vielleicht ahnen Sie schon, dass ich bei unserer dritten Perspektive gar nicht so weit von dem zweiten Schritt abweichen werde. Die Botschaft des Paulus von der Gerechtigkeit des Menschen allein aus Glauben und unabhängig von den Werken bedeutet für Kirche und Diakonie aus meiner Sicht, dass wir uns immer wieder dafür einsetzen müssen, dass Menschen in unserer Gesellschaft und in unseren Gemeinden Lebensmöglichkeiten bekommen, einen Platz haben, Unterstützung und Begleitung finden, und zwar unabhängig von ihrer persönliche Leistungsfähigkeit. Und damit sollten bei uns gerade die Menschen in den Fokus rücken, denen sich auch Jesus besonders zugewandt hat: Die Menschen, die aufgrund von Armut, Krankheit, Behinderung oder anderer Lebensumstände nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen.

Sie kennen vielleicht die Legende des Heiligen Laurentius von Rom, die sich gerade mit dieser Thematik beschäftigt und die ich heute am Kirchweihsonntag gerne einmal in Erinnerung rufen will. Der Überlieferung zufolge war Laurentius um das Jahr 250 n.Chr. als Archidiakon von Rom für die Verwaltung des örtlichen Kirchenvermögens und dessen Verwendung zu sozialen Zwecken zuständig. Nachdem der römische Kaiser Valerian Papst Sixtus II. hatte enthaupten lassen, wurde Laurentius ausgepeitscht und aufgefordert, den Kirchenschatz innerhalb von drei Tagen herauszugeben. Daraufhin verteilte Laurentius diesen an die Mitglieder der Gemeinde, versammelte eine Schar von Armen und Kranken, Verkrüppelten, Blinden, Leprösen, Witwen und Waisen, und präsentierte sie dem Kaiser als „den wahren Schatz der Kirche“. Der Hauptmann, vor dem Laurentius erschienen war, ließ ihn deswegen mehrfach foltern und dann auf einem glühenden Eisenrost hinrichten.

Als Kirche und Diakonie sollen wir dem Beispiel des heiligen Laurentius folgen und in unserer Gesellschaft immer wieder für die Randgruppen eintreten. Wir sollen unsere Möglichkeiten dazu nutzen, Menschen, die es weniger gut getroffen haben, zu helfen, ihr Leben zu gestalten. In der Diakonie Neuendettelsau und vielen anderen diakonischen Organisationen und Unternehmen tun wir genau das. Unsere Mitarbeitenden setzen sich Tag für Tag mit viel Engagement dafür ein, dass Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen, trotz vieler Beschwernisse ein gutes und gelingendes Leben haben können.

Wir haben vor kurzem mit der Bayerischen Sozialministerin Kerstin Schreyer den Bereich Wohnen für Menschen mit Behinderung in Polsingen besucht und ihr deutlich gemacht, dass wir für unsere Arbeit bessere Rahmenbedingungen und eine bessere Finanzierung brauchen. Und ich war wieder sehr beeindruckt, mit wieviel Engagement und Kompetenz sich die Mitarbeitenden dort für Menschen mit zum Teil mehrfachen schwersten Behinderungen einsetzen. Die Ministerin war ebenfalls beeindruckt. Dass das Bayerische Kabinett in der letzten Woche beschlossen hat, die Förderung der Arbeit für Menschen mit Behinderung zu verbessern, ist zwar sicher nicht alleine auf den Besuch in Polsingen zurückzuführen, aber die gute Arbeit, die in diesem Bereich geleistet wird, ist damit deutlich auch von offizieller Seite anerkannt worden. Lassen wir nicht ab davon, Menschen mit Behinderung Raum in unserer Gesellschaft, in unserer diakonischen Arbeit und in unserer Kirchengemeinde zu bieten.

Wir sollten uns immer wieder bewusst machen, dass unsere diakonische Arbeit heute doch auf derselben Erkenntnis basiert wie zur Zeit des Paulus, auch wenn die Fragen der Menschen damals andere waren: Vor Gott kommt es nicht auf die Taten und die Leistungsfähigkeit der Menschen an. Vielmehr ist jeder Mensch in Gottes Augen gleich wichtig und wertvoll. Er kann durch den Glauben gelingendes Leben erfahren – egal, was er leistet oder leisten kann.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus.

Amen.

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