Predigt vom Sonntag, 14.10.2018

Sonntag, den 14.10.2018, 20. Sonntag nach Trinitatis

Neuendettelsau, St. Laurentius, Pfarrerin Karin Lefèvre

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Korinth war eine reiche, pulsierende Metropole, die jede Art der Unterhaltung bot und besonders für ihre sexuelle Freizügigkeit bekannt war. Das Wort "korinthern" bedeutete in der Antike soviel wie "Unzucht treiben". Übrigens, im großen Tempel der Aphrodite waren rund 1000 Prostituierte beschäftigt. Klar, dass dort auch damals schon Handel und Tourismus blühten.

Ausgerechnet in diesem Korinth fand Paulus mit seiner Botschaft große Zustimmung. Er blieb dort für seine Verhältnisse ungewöhnlich lang, nämlich 18 Monate.

Kurz nach seiner Abreise kam ein gewisser Apollos in die Stadt. Er war wohl mit sei-ner Predigt erfolgreicher als Paulus. Nach dessen Weggang zerfiel die Gemeinde in zwei Lager, später sogar in drei und vier. Und alle waren sie miteinander verfeindet und zerrten sich gegenseitig vor Gericht. Es ging um Geld, um Sex, um Macht, kurz, um alles, was uns auch heute noch umtreibt und bewegt.

Deshalb schrieb Paulus Briefe an die Korinther, mit denen die Gemeinde wohl etwas nachlässig umging. Einige gingen nämlich verloren. Zu ihrer Entschuldigung können wir vielleicht anführen, dass sie ja nicht wissen konnten, was für ein "Star am christlichen Himmel" Paulus einmal werden sollte. Jedenfalls haben Bibelwissenschaftler/innen herausgefunden, dass die beiden Briefe des Paulus an die Korinther, die in der Bibel stehen, wohl aus mehreren Briefen zusammengesetzt wurden. Ich lese nun den kleinen Abschnitt vor, der für heute vorgesehen ist (ermutige Sie aber, ruhig einmal den ganzen Brief am Stück zu lesen).

29Dies, meine lieben Schwestern und Brüder in Christus, ist meine persönliche Überzeugung: die Zeit ist knapp (verdichtet). Deshalb sollen die Verheirateten innerlich so frei sein, als wären sie unverheiratet. 30Wer traurig ist, soll von der Trauer nicht sein ganzes Leben bestimmen lassen und wer fröhlich ist, soll nicht von der Freude sein ganzes Leben bestimmen lassen. 31Wer von den Dingen dieser Welt Gebrauch macht, darf sich nicht von ihnen gefangen nehmen lassen. Denn die Welt mit ihrer gegenwärtigen Ordnung wird vergehen. 32Ich möchte, dass ihr frei von Sorgen seid. aus: 1. Kor. 7

Liebe Gemeinde,

oftmals teilt Paulus mit den von ihm gegründeten Gemeinden, was er an Offenbarungen direkt von Gott bzw. Jesus empfangen hat. Doch hier grenzt er dies klar von sei-ner ganz persönlichen Überzeugung ab (τουτο δε φημι): Es bleibt nicht mehr viel Zeit!

Kluge gelehrte Köpfe sind sich einig, dass Paulus an das nahe Weltende glaubte. Aber das erfasst nicht alles. Vielleicht nicht einmal das Wesentliche, also das, was tief im Innersten berührt; auch dann noch, wenn die Welt fast 2000 Jahre später immer noch existiert.

Machen wir uns das an einem Beispiel deutlich: Alle haben sicher schon einmal von Einsteins berühmter Formel E= mc2 gehört. Energie ist Masse mal Lichtgeschwindigkeit zum Quadrat. Alles klar? Nein? Macht nichts. Das verstehen nur sehr wenige Menschen. Für uns reicht es zu wissen, dass die Erkenntnis, die hinter dieser Gleichung steckt, Einstein berühmt gemacht hat. Doch das ist NICHT das, was den berühmten Mann in seinem Innersten bewegte. Das nämlich hat er am Ende seines Lebens so formuliert: "Jetzt sehe ich, dass die einzige Frage lautet: Ist das Universum freundlich oder nicht?"

Physikalische Zusammenhänge zu begreifen und auszudrücken, das kann einen Nobelpreis und große Ehre bringen, aber was Einstein viel mehr beschäftigt hat, spielt in einer ganz anderen Liga. Denn wenn er seine Frage nach einem freundlichen Universum bejahen kann, dann bedeutet das nicht weniger, als dass sich für ihn 'die Pforten des Paradieses wieder öffnen'.

Ein freundliches Universum – das ist die Welt umspannt und getragen von Gott und damit von Gnade, von radikaler Gnade, von einem Meer von Liebe.

Paulus war kein Physiker. Paulus war kein Philosoph. Paulus war Mystiker. Also durch und durch eingetaucht in die Gnade Gottes, durchdrungen von der Gnade Gottes, bis in die letzte Körperzelle.

Und manchmal war er ein echter Schelm. Gerade hatte er seiner Gemeinde seitenlang die Köpfe gewaschen wegen ihrer "korinthischen", unzuchtgebeutelten Lebensweise, und im nächsten Augenblick schreibt er, die Verheirateten sollen innerlich so frei sein, als wären sie unverheiratet. Die nächsten Sätze machen jedoch unmissverständlich deutlich, wovon Paulus spricht, nämlich von der inneren Freiheit eines Christen, einer Christin.

Innere Freiheit - Paulus schreibt hier, wie sie aussehen kann:

- Wir leben in Treue, aber engen einander nicht ein.

- Wir sind traurig, aber nicht am Boden zerstört.

- Wir sind fröhlich, aber verlieren nicht die Bodenhaftung.

- Wir haben vieles, aber können alles bereitwillig mit anderen teilen und abgeben.

Bleibt die große Frage: WIE um alles in der Welt kommen wir da hin?

Denn unser Alltag sieht anders aus.

Wobei der Start im Normalfall ganz vielversprechend ist. Und das meine ich jetzt wörtlich. Denn eigentlich bekommen die meisten von uns am Anfang eine ziemlich große Dosis von allem, was wir brauchen, um genau diese Haltung entwickeln zu können, von der Paulus schreibt, mit auf den Lebensweg.

Gehen wir in einem ersten Schritt weit zurück bis in die Zeit, bevor wir gezeugt wurden. Da hat Gott uns bereits gekannt und wunderbar geplant, wie es der Psalm 139 bekennt.

Dann wurden wir geboren und lernten unsere Welt und uns kennen. Dabei sind die ersten Jahre etwas ganz Besonderes! Denn ein Kind in den ersten Lebensjahren lernt sich auf eine besondere und einmalige Weise kennen, durch einen besonderen Spiegel, nämlich durch die Augen seiner "Hauptbezugsperson", was im allgemeinen die Mutter ist, aber nicht sein muss. Gehen wir mal vom Normalfall aus: Da sieht das Kleinkind die Freude, das Glück und all die Liebe in den Augen der Eltern. Die Arme geben Wärme und Geborgenheit. Die Stimmen Trost und Ermutigung. Die Welt ist gut und das Kind, das so aufwächst, fühlt sich wertvoll und gut. Allerdings ist dieses "Paradies" nicht von Dauer. Aber wir nehmen viel daraus mit! Im besten Fall das Urwissen, geliebt und wertvoll zu sein.

Und wo dieses fehlt, weil ein Kind mit einem Mangel an Liebe aufwächst, hat das katastrophale Folgen. Ich vermute, das ist der Grund dafür, dass Jesus jedes Mal so wütend reagiert, wenn er das mitbekommt. In der heutigen Lesung, wo er die Jünger zurechtweist, weil sie die Mütter mit ihren Kindern als lästig wegschicken wollen, ist noch die harmlose Variante aufgezeigt. Im Lukasevangelium sagt Jesus, dass Menschen, die Kinder verführen, einen Mühlstein um den Hals gehängt bekommen und im Meer ertränkt werden sollen!

Übrigens kann es auch eine Aufgabe von Gemeinde sein, Menschen aufzunehmen und nachträglich Heimat und Geborgenheit zu geben, die aus ihrer Kindheit da viel nachzuholen haben. Das ist sehr wohl möglich und bringt für alle viel Segen mit sich.

Doch kommen wir zu unserer Frage zurück: Wie geht es weiter auf dem Weg zur in-neren Freiheit, wenn wir die Jahre der Kindheit hinter uns gelassen haben?

Jetzt kommen die Jahre der großen Entfaltung und Vergleiche. An einem Tag entdecken wir, dass wir attraktiv für andere sind und am nächsten zweifeln wir wieder und suchen nach neuer Bestätigung. Wir erringen heute einen Erfolg und stecken morgen eine Niederlage ein. Wir vergleichen uns mit anderen. Und immer sind da andere, die schlauer, schöner, fitter, wohlhabender, erfolgreicher usw. sind.

Ist das Universum freundlich oder nicht? Gibt es einen liebenden, gnädigen Gott oder ist alles nur ein blindes Spiel des Zufalls? Ein Fressen und Gefressenwerden, wo nur die Stärksten überleben?

Paulus kennt solche Fragen. Er weiß, dass der Weg des Glaubens ein Weg des Wachstums und der Entwicklung ist. Darum will er uns ermutigen: Ich möchte, dass ihr ohne Sorge seid!

Nirgends in der Bibel steht: Du musst etwas erreichen, um wer zu sein.

Nirgends in der Bibel steht: Du musst alles richtig machen, damit Gott dich liebt.

Das Einzige, das von dir verlangt wird, ist: Du sollst lieben, und zwar dich selbst und deine Mitmenschen.

Hingabe, die loslassen kann. Dankbarkeit, die vertraut, dass das Universum freund-lich ist, weil ein liebender Gott es erfüllt. Dies sind die Zutaten, um in eine solche Liebe hinein zu wachsen. Und die lässt auch den Wunsch des Paulus in Erfüllung gehen: Ich möchte aber, dass ihr ohne Sorge seid,

Amen

Mein Gott, ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin. Wunderbar sind deine Werke, das erkennt meine Seele. Es war dir mein Gebein nicht verborgen, als ich im Verborge-nen gemacht wurde. ... Deine Augen sahen mich, als ich noch nicht bereitet war, und alle Tage waren in dein Buch geschrieben, die noch werden sollten, und von denen keiner da war. ... Ich bleibe bis am Ende bei dir. 

Amen

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