Predigt vom Sonntag, 24.03.2019

Fastenpredigt zu Matthäus 5,16: „So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten“; Thema: „Kirche zwischen Wahrheit und Inszenierung“; Sonntag Okuli, 24. März 2019, 9.30 Uhr; St. Laurentius, Neuendettelsau; Pfr.in Christa Schrauf vom Kaiserwerther Verband in Berlin

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Gemeinde,

eine Gesellschaft im Umbruch braucht mehr denn je die Stimmen derer, die sich um ihren Zusammenhalt bemühen und sich in den Diskurs der brennenden Fragestellungen unserer Zeit demokratiestärkend einbringen und so zur Meinungsbildung und Entscheidungsfindung beitragen, ohne zu polarisieren.

Martin Junge, der Generalsekretär des LWB, ein Chilene, der 2017 mit dem Augsburger Friedenspreis ausgezeichnet wurde, sagte angesichts der mörderischen Terroranschläge im neuseeländischen Christchurch:

„Als Lutherischer Weltbund rufen wir alle Menschen mit gutem Willen und Anhänger verschiedener Religionen auf, gemeinsam für Frieden, Gerechtigkeit und Achtung des menschlichen Lebens zu arbeiten“.

Er bringt ganz im Sinne des heutigen Predigtwortes auf den Punkt, wozu Christinnen und Christen beauftragt sind, nämlich ihr Licht leuchten zu lassen, von der Wahrheit Gottes zu reden und im Vertrauen auf diese Wahrheit das zu tun, was das Leben von Menschen heller, hoffnungsvoller und zukunftsfähiger macht. Von Anfang an gehörte es zum Selbstverständnis von Christinnen und Christen, Verantwortung für das gesellschaftliche Miteinander zu übernehmen. Dafür steht die Bergpredigt Jesu in besonderer Weise. Angesichts des Reiches Gottes und seiner Gerechtigkeit, wie wir es eben gesungen haben, gilt es in dieser Welt, im Hier und Jetzt mit seinen Herausforderungen und Problemen, von dieser Wahrheit Gottes zu zeugen. Diese Wahrheit, die dem Leben dient, ist eine, die auch öffentlichkeitswirksam auf den Berg, auf die Bühne gehört, auch in Szene gesetzt werden will und soll, damit sie gehört wird, Interesse wecken und Begeisterung auslösen kann - nicht nur im Raum der Kirche. Die Wahrheit dieser Botschaft ist zwar himmlisch, aber sie drängt in die Welt, weil es dieser unter den aktuellen Gegebenheiten um das Heilwerden von Beziehungen, um die Lösung von Konflikten, um Barmherzigkeit, Versöhnung, Vergebung und Liebe geht. Daher bedarf die Botschaft Jesu nicht nur einer verantwortungsvollen theologischen Auslegung, sondern auch einer zeitgemäßen Inszenierung in Wort und Tat. Denn es ist nicht unwesentlich, wie wir von der Wahrheit zeugen, die die Leidenden und die Sanftmütigen seligpreist, die Gerechtigkeit und den Frieden zum Prinzip erklärt. Diese soll bestmöglich in unseren Gemeinden und diakonischen Einrichtungen, aber auch in der Gesellschaft und Welt mit ihrer Menschen verbindenden Kraft ankommen und so zu einem gelingenden Leben und Zusammenleben verhelfen.

Lasst euer Licht leuchten vor den Leuten“, sagte Jesus in einem Umfeld, das unter römischer Besatzung und deren Unterdrückungsmaschinerie vielmehr von Schatten und Finsternis gekennzeichnet war. Und trotzdem zeigten die Christinnen und Christen der matthäischen Gemeinden, dass sie sich - von Gott und seiner Wahrheit inspiriert - in bewahrender und rettender Weise für Menschen einsetzen. Und das, obwohl ihnen bewusst war, dass ihr Bekenntnis zu Gott als dem einzigen Vater für das römische Imperium Ausdruck der Verweigerung und des Widerstandes war. Der Titel Vater, pater patriae, stand aus deren Sicht allein dem römischen Kaiser zu. Für Matthäus und die Gemeinden, die er ansprach, galt die Wahrheit von der Liebe Gottes, wie sie in Jesus Christus Wirklichkeit geworden ist, nicht, dafür aber die Wahrheit der römischen Besatzung, die auf Gewalt und Ausbeutung setzte. Die Wahrheit des himmlischen Vaters, wie er im Vaterunser, das uns auch in der Bergpredigt überliefert ist, genannt wird, zählte.

Auf die Wahrheit Gottes antworten wir in Kirche und Diakonie in der Nachfolge Jesu mit unserem Glauben, der sich im konkreten Tun manifestiert, wenn wir uns seit Beginn der Mutterhausdiakonie bis zum heutigen Tag für Menschen stark machen, die von Behinderung, von Krankheit, von Alter, von Armut, von Flucht oder anderen sozialen Notlagen betroffen sind, wenn wir denen Stimme verleihen, die nicht selber für sich sprechen können, wenn wir Position beziehen zu den Fragen, die unsere Gesellschaft bewegt. Gegenwärtig tun wir es bei der Frage nach der Zulassung des Bluttests zur Bestimmung von Trisomie als Kassenleistung. Der BEB, der Bundesverband Evangelische Behindertenhilfe, hat sich gegen diese Kassenleistung ausgesprochen, denn das Evangelium hat nicht nur perfekte Menschen im Blick, sondern gerade auch die, die mit einem Handicap zu leben haben. Deshalb darf es nicht sein, dass Menschen mit Behinderung den Stempel „ungewollt“ aufgedrückt bekommen, oder deren Eltern sich rechtfertigen müssen, warum sie zu diesem Kind ja gesagt haben. Nächstenliebe, wie Jesus sie geübt hat, sollen wir heute verwirklichen, auch in Szene setzen, damit von unserem Beispiel praktizierter Diakonie auch Orientierung für andere ausgeht. Dieses Tun ist nicht immer risikofrei und erfordert Mut. Daher braucht es gestern wie heute die Kraft der Gemeinschaft. Für die Diakonissen, deren Tracht auch als Inszenierung ihrer Identität gesehen werden kann, war die Gemeinschaft ihre Energiequelle und ihr Erfolgsrezept. Und das ist die Gemeinschaft der Glaubenden noch immer, deshalb lassen wir uns auch an diesem Sonntagmorgen in der Gemeinschaft mit Gott und der Gemeinschaft untereinander ermutigen. Weil Diakonie ohne Gemeinschaft, ohne „Wir-Gefühl“, nicht Diakonie ist, sorgen gerade hier in Neuendettelsau Diakonissen alter und neuer Form, diakonische Schwestern und Brüdern, Mitarbeitende im Diakonat, in der Dienstgemeinschaft sowie die Verantwortlichen für Räume, Rituale und eine Atmosphäre, in der diese Kultur, die unsere Identität ausmacht, gelebt werden kann.

Und dieses Tun hat immer auch etwas mit Buße und Umkehr zu tun. In reformatorischer Sicht ist die Bergpredigt als Ethik der Buße ausgelegt worden, die zur kritischen Reflexion des eigenen Handelns einlädt und den Blick darauf richtet, wo für Menschen, die um das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit wissen, in der Gegenwart die Aufgaben liegen. Diese Bedeutung hatte die Bergpredigt mit ihrem Appell, für Gottes Gerechtigkeit in dieser Welt einzutreten, auch für das Leben und Wirken von Dietrich Bonhoeffer. Sie war für ihn die zentrale biblische Stelle und Ressource für seine Tätigkeit. Er sagte: „Ich glaube zu wissen, dass ich eigentlich erst innerlich klar und wirklich aufrichtig sein würde, wenn ich mit der Bergpredigt wirklich anfinge, Ernst zu machen. Hier sitzt die einzige Kraftquelle, die den ganzen Zauber und Spuk einmal in die Luft sprengen kann“. Es erwächst ihm daraus eine Zivilcourage, die ihn den todbringenden Machenschaften seiner Zeit entschieden widersprechen lässt. Der Anspruch der biblischen Botschaft und seines Glaubens, aktiviert ihn, das in seiner Situation Gebotene zu tun: Er widerspricht der menschenverachtenden Ideologie des Antisemitismus und Rassismus und setzt ihr die bedingungslose Menschenfreundlichkeit Gottes entgegen. Er tritt mit Vehemenz und unter Einsatz seines Lebens für Frieden und Gerechtigkeit ein.

Das Dasein für andere wird zum Grundmotiv seiner Ethik. Kirche ist in dieser Logik nur Kirche, wenn sie Kirche für andere ist, wenn sie bedrohtes Leben rettet.

Liebe Gemeinde, Kirche und Diakonie sind immer der Gesellschaft, die sie umgibt, verpflichtet. Daher braucht es auch öffentliche Theologie, den Beitrag von Kirche und Diakonie als Orientierung in aktuellen politischen Debatten. Kirche und Diakonie haben etwas zu sagen, ihre Botschaft und ihr Handeln, ihr Beten und Tun des Gerechten, wie Bonhoeffer es formuliert hat, sind ein unverzichtbarer Beitrag. Damit in einer von Pluralität gekennzeichneten Gesellschaft der Beitrag von Kirche und Diakonie auch Wirksamkeit entfalten kann, braucht es um des Wortes Gottes Willen auch eine Form von Inszenierung. Wir können unser Licht leuchten lassen, weil er uns sagt: „Ihr seid das Licht der Welt“, weil Gott selber es ist, der unser Licht leuchten lässt. Weil wir die Verheißung haben, dass er unser Tun gnädig begleitet, daher können wir es - zusammen mit allen, die sich aus anderen religiösen oder weltanschaulichen Gründen um eine Zukunft bemühen - getrost wagen.

Die aktuelle weltweite Bewegung „Fridays for Future - für mehr Klimaschutz“ von Schülerinnen und Schülern ist eines von vielen Beispielen.

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder, wenn Jesus sagt: „Lasst euer Licht leuchten unter den Leuten“, dann geht er davon aus, dass wir als Töchter und Söhne Gottes Licht der Welt sind und deshalb manchmal auch über unsere Kräfte hinaus zu tun vermögen, wozu er uns berufen hat, wie Elia in der heutigen Lesung.

Und in der Diakonie sind wir auch dazu berufen, dafür zu sorgen, dass unsere diakonische Arbeit auch unter sich verändernden Bedingungen, ob sie Wettbewerb oder Ökonomisierung heißen, eine lebendige bleibt, dass ein Diakoniewerk nicht seine Prägung verliert, sondern sie behalten und weiterentwickeln kann. Der zukünftige Name der Diakonie Neuendettelsau, der in der vergangenen Woche vorgestellt wurde, „Diakoneo“, ist ein solches Bekenntnis zur Zukunft.

Lasst euer Licht leuchten unter den Leuten! Das ist unser Auftrag, und der bedeutet, dem Frieden eine Chance zu geben, einem Frieden, der niemanden ausschließt, sondern allen Partizipation, Teilhabe, ermöglicht und sich in besonderer Weise um die bemüht, die - aus welchem Grund auch immer - an den Rand geraten sind und es schwer haben, in die Mitte zu finden. „Lasst euer Licht leuchten“ heißt, dass eben immer wieder neu buchstabiert werden will, wie der Wille Gottes durch uns sichtbar und erfahrbar gemacht werden kann. Die Antworten auf diesem Weg sind nicht immer einfach – ganz im Gegenteil. Ein Schwarz-Weiß-Denken mit unzulässigen Vereinfachungen ist dabei fehl am Platze, weil letztere der Komplexität von Problemen niemals gerecht werden. Daher wird es immer wieder ein Ringen und auch Streiten geben um das, was Zukunft schenkt und Hoffnung gibt, ob im privaten, beruflichen oder politischen Bereich. Die biblische Botschaft mit ihrer Wahrheit, die in der Offenbarung Gottes in Jesus Christus ihren Grund hat, möchte uns auf diesem Weg Impulsgeber sein, uns inspirieren, uns das Rückgrat stärken, damit wir mutig das zu tun vermögen, was der Menschenfreundlichkeit Gottes gerecht wird. Und wir dürfen uns jeder Zeit Gott zuwenden, ihn um seine Begleitung und Hilfe bitten, denn er steht unseren Bemühungen zur Seite, hilft uns, bei seiner Wahrheit zu bleiben, und gibt uns den richtigen Blick für die notwendige glaubwürdige und authentische Inszenierung seiner Wahrheit. Er sorgt dafür, dass unser Licht leuchtet. Bleiben wir offen für ihn und sein Programm der Liebe, der Gerechtigkeit und des Friedens, das diametral zu Angstmache und Populismus steht, weil von diesem Programm Orientierung gerade in Krisenzeiten ausgeht. Wir sind als Kirche und Diakonie nicht die Besserwissenden, wir haben nicht das Konzept für die Lösung der Probleme der Welt, aber wir können dazu beitragen, dass von der Wahrheit, die uns antreibt, in Gesellschaft und Welt beispielhaft etwas aufleuchtet, wie es im zukünftigen Claim von Diakoneo heißt: „Weil wir das Leben lieben“.

Amen.

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