Lernen ganz individuell: Digitalisierung im Förderzentrum

Wie im Förderzentrum St. Martin die Chancen digitaler Medien genutzt und Medienkompetenz vermittelt wird

Erster Teil der Serie „Digitalisierung an Schulen“


Erfahren Sie in unserer Artikelserie anhand von drei Beispielen, welche Auswirkungen die Digitalisierung auf unsere Schulen hat:

  • Welche Chancen bietet die Nutzung digitaler Medien im Unterricht?
  • Wie lernen die Kinder mit den Risiken einer digitalen Welt umzugehen?
  • Und welche Möglichkeiten bieten Softwarelösungen für E-learning und Schulplanung? 

Um dies herauszufinden, hat unsere Autorin, Sabine Holfelder, mit den Leitungen von drei ganz unterschiedlichen Schulen gesprochen: Förderzentrum, Realschule und einer beruflichen Schule.

Teil 1: Einsatz von digitalen Medien und Entwicklung von Medienkompetenz im Förderzentrum

Für diesen Artikel haben unsere Autoren Ulrike Englmann und Sabine Holfelder mit Dorli Beez, Schulleiterin am Förderzentrum St. Martin Neuendettelsau /Bruckberg mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung, gesprochen. Sie berichten, wie digitale Medien den Lehrkräften dabei helfen, individuelle Unterrichtsmaterialien zu erstellen und wie das Förderzentrum Schülerinnen und Schüler dabei unterstützt, mit den Chancen und Risiken einer zunehmend digitalen Welt umzugehen.

Am Förderzentrum können Kinder und Jugendliche ganz individuell begleitet und gefördert werden. Was bedeutet das?

Dorli Beez: Die Kinder und Jugendlichen, die hier zur Schule gehen, haben einen sehr hohen Förderbedarf. Das heißt, sie brauchen mehr Begleitung und Förderung als an Grund- und Mittelschulen möglich ist. Zum Beispiel brauchen sie mehr Zeit zum Lernen oder vielleicht sogar ganz andere Lerninhalte. Sie brauchen ein besonders Umfeld und eine sonderpädagogische Förderung, um ihre Persönlichkeit optimal entfalten zu können. Der verbindliche Lehrplan ist sehr flexibel, so dass in der Praxis Lerninhalte und Lerngeschwindigkeit ganz individuell an die persönlichen Bedürfnisse jedes einzelnen Schülers angepasst werden können. Die Altersspanne im Förderzentrum ist groß. Sie beginnt bei den Kindergartenkindern ab dem dritten Lebensjahr und reicht bis zu Schülerinnen und Schülern im zwölften Schulbesuchsjahr im Alter von 18 bis 20 Jahren.

Lehrkräfte im Förderzentrum erstellen viele Unterrichtsmaterialien ganz individuell für jeden einzelnen Schüler. Welche Vorteile bietet dabei die Nutzung digitaler Medien?

Dorli Beez: Die große Altersspanne und die individuellen Lernlösungen bedeuten, dass es hier wenig "von der Stange" geben kann. Förderschulen müssen von jeher fast ohne lernmittelfreie Printmedien auskommen. Unterrichtsmaterialien werden hier deshalb oft von den Lehrkräften selbst erstellt. Am Förderzentrum St. Martin, aber überhaupt an den Förderschulen, arbeiten Lehrerinnen und Lehrer deshalb schon relativ lange mit Computern und digitalen Medien. Lehrkräfte haben hier schon immer viele ihrer Unterrichtsmaterialien selbst entwickelt und individuell auf ihre Schülerinnen und Schüler abgestimmt. Bei den Lehrkräften war der Computer von Anfang an als unterstützendes und vereinfachendes Arbeitsmittel sehr willkommen. Man konnte plötzlich auf vieles zurückgreifen, was man zuvor per Hand erstellen musste: Bilder, Folien, einfache Texte etc.


Unterrichtsmaterial wird im Förderzentrum oft individuell und digital erstellt.

Digitale Hilfsmittel ermöglichen den Schülerinnen und Schülern größere Lernerfolge und mehr Eigenständigkeit. Was bedeutet das konkret?

Dorli Beez: Da man digitale Medien deutlich besser an die individuellen Bedürfnisse anpassen kann, profitieren die Schülerinnen und Schüler mit sehr hohem Förderbedarf von einer höheren Lerneffizienz und haben mehr Lernerfolge.

In vielen Klassenzimmern werden Tafeln mit interaktiven Projektoren genutzt. Auch Schülerinnen und Schüler mit Sehschwierigkeiten können so aufstehen und an die Tafel schreiben. Dies wird dann digital in das jeweilige Dokument integriert und weiterverarbeitet.

Digitale Hilfsmittel unterstützen aber auch Menschen mit ganz individuellen Einschränkungen. So können Schüler und Schülerinnen, die nicht oder wenig sprechen können, Unterstützung durch elektronische Sprachausgabegeräte erhalten, die zum Beispiel in Form eines Monitors an ihrem Rollstuhl angebracht sind. Das nennt man auch „Unterstützte Kommunikation“. Mittels Blickkontakt kann ein Symbol auf einem Bildschirm „angeklickt“ werden, das die Sprachausgabe auslöst und den gewünschten Text vorliest. Auch CDs lassen sich auf diese Art einschalten und anhören.


Digitale Hilfsmittel unterstützen Schülerinnen und Schüler, die nicht oder wenig sprechen können dabei, sich mitzuteilen.

Bei allen Möglichkeiten beinhaltet die zunehmende Digitalisierung auch Schwierigkeiten und Risiken für Kinder und Jugendliche. Wie reagieren Sie im Förderzentrum darauf?

Dorli Beez: Alle staatlichen Schulen sind verpflichtet bis Mitte 2019 ein Medienkonzept abzugeben. Hieran orientiert sich auch die Diakonie Neuendettelsau und wird auch als privater Träger Medienkonzepte für die jeweiligen Schulen erarbeiten. Aktuell ist auch am Förderzentrum St. Martin eine spezielle Schulentwicklungsgruppe damit beschäftigt, ein spezifisches Medienkonzept zu erstellen. Hierin wird die notwendige technische Ausstattung identifiziert, es wird ein standortbezogener Lehrplan für die Umsetzung im Unterricht entwickelt und über Fortbildungsmodule für die Lehrkräfte nachgedacht.

Im Kern ist die Förderschule aber eine sehr praktische Schule mit lebenspraktischen Fächern wie Werken, Hauswirtschaft und Sport. Dies wird auch neben der Digitalisierung so bleiben, weil genau diese praktischen Dinge es sind, die die Schülerinnen und Schüler lernen müssen, um sich im Leben gut zurechtzufinden.

„Softskills“ im Umgang mit digitalen Medien müssen erlernt und trainiert werden. Wo liegen hier Risiken? Wie unterstützen Sie die Kinder und Jugendlichen, diese zu erkennen?

Dorli Beez: Schwierigkeiten in der Mediennutzung entstehen mit Schülerinnen und Schülern der Förderschulen in gleicher Weise wie mit Schülern von allgemeinbildenden und beruflichen Schulen. Die Schülerinnen und Schüler der Förderschulen besitzen genauso wie alle anderen ein Smartphone, haben einen Facebook-Account oder sind in anderen sozialen Netzwerken unterwegs.

Manche Schülerinnen und Schüler am Förderzentrum können jedoch nicht unterscheiden, ob es sich bei Internetvideos um gesellte, inszenierte Aktionen handelt, die gefilmt werden oder um die gefilmte Realität. Oft haben sie keinerlei Bedenken, private Dinge hochzuladen oder das Empfinden der Schülerinnen und Schüler für das „was man kann und darf“ ist nicht entsprechend ausgeprägt. An dieser Stelle ist immer wieder erhebliche Aufklärungsarbeit von Seiten der Schule zu leisten und den Schülerinnen und Schülern zu erklären, welche Folgen daraus entstehen können, wenn man andere Menschen in peinlichen Situationen filmt und diesen Film dann im Internet hoch lädt. Viele der Schülerinnen und Schüler sind sich dessen gar nicht bewusst. Dies stellt immer wieder eine Herausforderung für die Lehrkräfte dar und fordert außerdem eine abgestimmte Vorgehensweise. Innerhalb der Schule wird aktuell eine Art „Medienknigge“ erarbeitet, der festlegt, welche Handlungen erlaubt und sinnvoll sind und welche nicht und was ethisch vertretbar ist und was nicht - oder mit welchen Aktionen man andere Menschen verletzen kann. Entscheidend ist, dass kleine Themen angesprochen werden und kleine Ziele gesetzt werden, die erreichbar sind.

Auch die Eltern sind gefragt. Wie können sie ihre Kinder bei einem angemessenen Umgang mit digitalen Medien unterstützen?

Dorli Beez: Die ersten Lebensjahre von drei bis sechs sind entscheidend für die weitere Entwicklung eines Kindes. Das Elternhaus spielt beim Umgang mit neuen Medien eine zentrale Rolle. Eltern und Familien tragen die Verantwortung für die Medienerziehung zu wesentlichen Teilen mit und müssen über eigene Mediengewohnheiten reflektieren und als Vorbild wirken. Zum Beispiel, sich die Frage stellen, ob das Smartphone am Frühstückstisch wirklich notwendig ist. Die Förderschule bemüht sich immer wieder, bei den Eltern ein Bewusstsein für den Umgang mit Medien zu schaffen. Erst dann können sie erfassen, wie sich ihr eigenes Handeln auf ihre Kinder auswirkt.

Die Frage heißt dann nicht mehr: was machen meine Kinder eigentlich mit Medien, sondern die Frage stellt sich andersherum: was machen die Medien mit mir?

Ziel des Förderzentrums ist es immer wieder, von den Eltern zu erfahren, welche Vorerfahrungen mit digitalen Medien die Kinder mitbringen. Die Eltern von heute sind die erste Generation, die selbst vollständig mit den neuen Medien aufgewachsen ist, aus diesem Grund besteht oft erst ein geringes Bewusstsein für Gefährdungen und Auswirkungen eines zu hohen Medienkonsums.

Die Lehrkräfte im Förderzentrum können Orientierung geben durch feste Rituale und die Gestaltung von guten Beziehungen. Oft tritt die digitale Welt dann in den Hintergrund:

Dorli Beez: Zu vielen Schülerinnen und Schülern besteht eine vertrauensvolle und enge Beziehung. St. Martin arbeitet nach dem „Klassenlehrerprinzip“, so dass die Lehrkraft über lange Zeit und in fast allen Fächern sehr eng mit den Schülern zusammenarbeitet und diese über Jahre begleitet. Außerdem beginnt jeder Schultag mit einem sogenannten Morgenkreis, in dem jeder Schüler einen Beitrag geben kann. Auch am Ende jeder Woche findet nochmals ein gemeinsamer Austausch statt. Hier haben die Lehrkräfte die Chance, die Schülerinnen und Schüler wirklich zu erreichen.

Erfahren Sie im nächsten Artikel, wie das Medienkonzept der Realschule Neuendettelsau aussieht.


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